Predigt von Prälat Georg May: Die verschmähte Liebe des Herrn
Auszug:
Geliebte im Herrn!
Jesus kommt nach Jerusalem. Er steigt über die Hügel die Stadt hinauf; er nähert sich der Stadt und rastet eine Weile, und sein Blick geht über die Stadt. Und da erleben wir erschütternd: Er weint. Unser Herr weint über die Königsstadt Jerusalem, er weint über ihr künftiges Schicksal. Denn er sieht es voraus: Die ganze Herrlichkeit Jerusalems wird dahinfallen. Er sieht vor sich diese Paläste, die Burg, er sieht den Tempel, diesen wunderbaren Tempel, den Herodes der Große errichtet hatte, aber er sieht weiter und tiefer. Er sieht die Zerstörung voraus, die die Truppen des Feldherrn Titus im Jahre 70 anrichten sollten. Am 3. September des Jahres 70 drangen sie in die Stadt ein, zerstörten, was zu zerstören war, zündeten den Tempel an, und die ganze Herrlichkeit versank. Das alles sieht Jesus vor sich, und er weint.
Die Zerstörung Jerusalems durch Titus Wilhelm von Kaulbach |
Er weint, weil er erkennt, dass Jerusalem seine Stunde, die Stunde, auf die es jahrhundertlang geharrt hatte, nicht erkannt hatte. In den Zeiten der Not hatten die Propheten die Hoffnung auf den Messias wachgehalten, und das Volk hatte sich daran geklammert, war aber immer mehr auf die irdische Seite abgeglitten, hatte eine nationale Befreiung statt eine Befreiung von der Sündenschuld erwartet. Es war abgewichen auf Irrwege und jetzt, als die Erfüllung herankam, jetzt hat es den Erlöser verschmäht.
Der tiefste Schmerz, meine lieben Freunde, den es geben kann, ist der Schmerz der verschmähten, der mißachteten, der zertretenen Liebe. Das ist der tiefste Schmerz, den es geben kann. Die Liebe, die erlösen wollte und nicht erlösen konnte, weil sie verschmäht wurde.
Zwei Jahrtausende lang hat das Volk auf den Erlöser geharrt, und jetzt, als er kam, hat es ihn verworfen. Jesus hat gelehrt, wie kein anderer vor ihm gelehrt hat. Die Menschen staunten: Was ist das? Das ist eine neue Lehre mit Vollmacht. Jesus hat geheilt, wie niemand vor ihm geheilt hat. Es ging eine Kraft von ihm aus und heilte alle. Jesus hat die Dämonen besiegt wie keiner vor ihm. Er gebietet sogar den bösen Geistern, und sie gehorchen ihm. Das alles haben die Menschen erlebt. Sie haben es gesehen mit ihren eigenen Augen. Und was war der Erfolg?
„Ich halte meine Arme ausgestreckt den ganzen Tag nach einem widerspenstigen Volke, das seinen eigenen Gedanken nachgeht auf unheilvollen Wegen.“ „Mein Volk, was habe ich dir getan? Womit betrübte ich dich? Antworte mir!“ So heißt es in den Improperien der Karfreitagsliturgie. „Was hätte ich noch mehr dir tun sollen und habe es nicht getan? Ich habe dich gepflanzt als einen Weinberg, du aber hast mich mit Essig getränkt und mit einer Lanze mein Herz durchbohrt.“
Was Jerusalem widerfuhr, ist für uns nicht unbeachtlich. „Alles, was ehedem geschrieben wurde“, sagt der Apostel Paulus, „alles, was ehedem geschrieben wurde, ist zu unserer Belehrung geschrieben.“ Die Geschicke Israels haben sich in der Geschichte wiederholt, wenn auch in anderer Weise und in verschiedener Gestalt. Aber sie haben sich wiederholt auch bei der Menschheit, die heute lebt.
Wir haben in den letzten hundert Jahren einen nicht für möglich gehaltenen Abfall des christlichen Abendlandes erlebt, einen Abfall von Christus und Gott, vom Glauben und von der Kirche. Man spricht von Säkularisierung. Ich meine, man spräche besser von Rückfall ins Heidentum. Überall auf Erden haben sich Millionen von Christus und seinem Erlöserrufe abgewandt. Sie sagen: Wir brauchen keinen Erlöser, wir sind nicht erlösungsbedürftig.
Die Gläubigen wissen, wann und wodurch die Erlösung geschah. Das war, als um die sechste Stunde unser Herr und Heiland das Kreuzesholz bestieg. Seitdem ist das Kreuz das Zeichen der Erlösung. Seitdem tobt aber auch der Kampf um das Kreuz. Er ist besonders heftig in unseren Tagen. „Das Kreuz muss weg! Wir wollen kein Zeichen der Erlösung, denn wir brauchen keine Erlösung!“ So sprechen die Feinde unseres Herrn.
Ich habe hier vor mir, meine lieben Freunde, eine private Zusammenstellung, wie heute von den Feinden des Kreuzes Christi mit dem Kreuz umgegangen wird. Die Grünen/Alternativen wollen durch die Entfernung des Kreuzes im Rat der Stadt Münster einen ihrer Meinung nach unwürdigen Zustand beenden. Ein Landtagsabgeordneter der Grünen in Nordrhein/Westfalen richtete eine parlamentarische Anfrage an die Landesregierung. Er hält Kreuze „mit oder ohne daran befestigte Legendengestalt“ in Gerichtssälen und Unterrichtsräumen für nicht zumutbar. weiter hierSiehe auch: Jesus weint über Jerusalem und über uns