alles von Prälat Prof. Georg May
(...) Die Kirche ist letztlich auch etwas allzu Menschliches. Allzu menschlich sind ihre Klöster, ihre Priester; allzu menschlich ist das gläubige Volk. Es ist doch viel, was die Kirche auch an Staub mit sich herumträgt, es ist allzu viel; es ist mehr, als sein sollte.
Und deswegen leiden die Heiligen an der Kirche und weinen über die Kirche. Die größten Heiligen haben am meisten an dem allzu Menschlichen der Kirche gelitten und haben sich dagegen gewehrt.
Wenn Sie einmal, meine lieben Freunde, lesen würden, was der heilige Bernhard von Clairvaux den zeitgenössischen Bischöfen und Päpsten vorgehalten hat, dann würden Sie staunen, wie dieser von Liebe zur Kirche erfüllte Mensch auf seine Zeitgenossen eingeredet hat. Oder wenn Sie die Briefe, die vielen Briefe der heiligen Katharina von Siena lesen würden, die sie an die Großen ihrer Zeit, auch an die Päpste, richtete, dann würden Sie staunen, wie diese heilige Frau mit ihren Zeitgenossen umgegangen ist. Dem Papste schrieb sie: „Du hast Deine Macht nicht erhalten, damit Du sie nicht benutzt, sondern damit Du sie gebrauchst!“
Die größten Heiligen haben am meisten an der Kirche gelitten. Aber es muß natürlich dieses Leiden an der Kirche ein heiliges Leiden sein, weil es aus einer heiligen Liebe kommt. Es darf kein ressentimentgeladenes Leiden sein, kein bitteres, kein verbittertes, kein haßerfülltes Leiden. Es muß ein Leiden sein, das der Kirche helfen will.
Manche, die die Kirche kritisieren, sind ganz froh, daß die Kirche nicht vollkommen ist, denn sie sagen sich: So, wie sie ist, ist sie nicht vollkommen, also brauche ich mich auch nicht anzustrengen, also brauche ich mich auch nicht zu bemühen. Sie haben geradezu Freude daran, wenn sie von Skandalen in der Kirche hören und berichten können, denn das macht ihr unruhiges Gewissen ruhig, weil sie sich sagen: Die Kirche ist nicht so, wie sie sein soll, also brauche ich mich auch nicht zu bemühen, besser zu werden. Nein, das ist nicht die richtige Weise, wie man Kritik an der Kirche übt. Es muß eine Kritik sein, die aus der Liebe kommt, und man muß der Kirche zu helfen suchen.
Wie kann man ihr denn helfen? Man kann ihr helfen, indem wir selbst Glieder der Kirche werden, welche die Kirche schmücken. Wenn wir die Kirche zieren mit unseren Tugenden, mit unserer Liebe, mit unserer Demut, mit unserer Geduld, mit unserer Großmut, wenn die Kirche durch uns als eine Gemeinschaft der Heiligen erscheint, dann helfen wir der Kirche, dann helfen wir ihr wirklich. Wenn die Menschen sagen: Die Katholiken sind doch anders als die anderen, sie sind doch besser, wenn sie das sagen können, dann haben wir der Kirche geholfen.
An Christus waren zwei Wirklichkeiten zu beobachten, eine göttliche und eine menschliche. Er war derjenige, der dem Sturm sagte: „Schweige! Verstumme!“ Er war aber auch ein Ausgestoßener, ein Geschlagener, ein Mann der Schmerzen, von dem man das Antlitz abwenden wollte.
Ähnlich ist es mit der Kirche. Auch sie ist etwas Göttliches und etwas Menschliches. Sie geht ihren Weg wie ihr Meister und Herr mit blutenden Füßen und mit einer Dornenkrone auf dem Haupte, verlacht und verkannt und geschmäht, und dennoch: Sie ist eine Königin!