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Samstag, 4. Februar 2012

Hirtenbrief der deutschen Bischöfe

Welcher Katholik hat heute nicht - wenigstens in Teilen - die Irrlehre verinnerlicht, die die deutschen Bischöfe in diesem Hirtenbrief verurteilt haben? Allerdings bemerken diesen Sachverhalt nicht einmal mehr die deutschen Bischöfe, die heutigen, wohlgemerkt. 
Der dialektische Materialismus, auch Marxismus-Leninismus genannt, ist die theoretische Grundlage, auf der der von mehreren Päpsten verurteilte Kommunismus aufbaut.


Gegen den praktischen Materialismus

Hirtenbrief der deutschen Bischöfe zur Fastenzeit 1956

Jahr um Jahr hört Ihr einen Hirtenbrief des Bischofs Euerer eigenen Diözese. Aber in diesem Jahre schreiben alle deutschen Bischöfe gemeinsam ein Hirtenwort zur Fastenzeit. Denn eine gemeinsame Sorge bedrückt uns. 


I.

Ihr wißt, daß in unseren Tagen eine Irrlehre drohend ihr Haupt erhebt, die sich selbst nennt den dialektischen Materialismus. Sie ist besonders verbreitet in ganz Osteuropa, weithin in Mitteleuropa, in China und anderen Ländern Ostasiens. Dieser dialektische Materialismus behauptet, daß es nichts gebe als die Materie. Er kann zwar nicht bestreiten, daß der Mensch Geist und Verstand hat, aber er behauptet, daß auch Geist und Verstand nichts anderes seien als Funktionen und Ausstrahlungen der Materie. Weil er nur die Materie kennt, hat er keinen Raum mehr für ein Fortleben nach dem Tode und keinen Raum mehr für unseren Herrn und Gott. Zu vielen Zeiten hat es Gottesleugner gegeben, aber bewußte Gottlosigkeit als Massenerscheinung gibt es erstmalig in unserer Zeit. Zum erstenmal, solange die Welt besteht, wird fast die gesamte Jugend großer Völker ohne Gott und gegen den Glauben an Gott erzogen. Auch in weiten Teilen unseres Vaterlandes will man die Jugend für diesen dialektischen Materialismus gewinnen. Abschluß und Höhepunkt dieser Erziehung soll die sogenannte Jugendweihe sein.

Dazu kommt aber eine andere Sorge, und gerade sie läßt uns Bischöfe Euch heute diesen gemeinsamen Hirtenbrief schreiben. Müßten nicht wir Christen um so gläubiger sein, je mehr der dialektische Materialismus sich ausbreitet und Gottes Majestät millionenfach angetastet und geleugnet wird? Müßten nicht unsere Gläubigen mit um so größerer Treue Gott dem Herrn anhangen, um Sühne zu leisten und um seinen Zorn zu mindern? Statt dessen beobachten wir Bischöfe, wie viele unserer Gläubigen selbst praktisch dem Materialismus verfallen sind. Nicht wenige von denen, die – vielleicht sogar mit Leidenschaft – den dialektischen Materialismus ablehnen, ja mit Schrecken an seine Folgen denken, sind in ihrer Lebenshaltung Materialisten geworden.

Die praktischen Materialisten leugnen Gott nicht. Im Gegenteil, sie beten: „Ich glaube an Gott, den allmächtigen Vater.“ Aber sie nehmen Gott den Herrn nicht mehr ernst. Sie leben, als ob es Gott den Herrn nicht mehr gäbe. Seine Gebote schieben sie beiseite. Wenn sie in ihrem Alltag ihre Entscheidungen zu treffen haben, fragen sie nicht mehr: „Was sagt Gott dazu?“ Sie richten sich vielmehr nach ihrem Vorteil oder nach der Meinung der Leute. Die praktischen Materialisten leugnen auch das Jenseits nicht. Im Gegenteil, sie beschließen ihr Glaubensbekenntnis mit dem Satz: „Ich glaube an das ewige Leben.“ Aber sie nehmen das ewige Heil ihrer unsterblichen Seele nicht mehr ernst. Sie besuchen vielleicht noch die Sonntagsmesse und hören auch diesen Hirtenbrief, aber der Meßbesuch bedeutet ihnen nichts anderes mehr als die Erledigung einer Pflicht oder Gewohnheit. So kann man ein Christ sein, der, wie man zu sagen pflegt, noch „praktiziert“, und gleichzeitig schon dem praktischen Materialismus verfallen.

Diese Halbchristen haben sich einen neuen Gott erwählt, und ihm sind sie mit Leib und Seele hingegeben. Und dieser Götze ist der sogenannte Lebensstandard, Besitz- und Genußgier. Dem Verdienst und Erwerb haben sie sich mit geradezu inbrünstiger Leidenschaft verschrieben. Fast ungehemmt greifen sie nach allen Möglichkeiten des Vergnügens, auch solchen bedenklicher Art, bis an die Grenze des sittlich Erlaubten und darüber hinaus. Sie kennen nur noch Erwerb und Genuß. – Ist es nicht nackter Egoismus, wenn der Kindersegen deswegen verweigert wird, weil man zuerst das Fernsehgerät oder das Auto anschaffen will; wenn man die eigenen Kinder als lästig empfindet; wenn ohne Rücksicht auf das Glück der Kinder die Ehen gebrochen und schließlich geschieden werden; wenn man älter gewordene Väter und Mütter in Altersheime abschiebt, auch wenn gar keine Not es erfordert; wenn man die eigene Ehe nur noch sieht und behandelt als einen sexuellen Zweckverband; wenn der Nächste dem Nächsten im Grunde genommen gleichgültig geworden ist und jeder bei sich denkt: „Wenn es nur mir gut geht!“

Geliebte Diözesanen, begreift, wie ungeheuer die Gefahr ist, die uns alle bedroht: das Hinübergleiten in den praktischen Materialismus und den praktischen Atheismus vollzieht sich in der Regel im einzelnen Menschen in so kleinen Schritten, daß der Betreffende selbst es zunächst fast nicht bemerkt. Aber wenn dieses Abgleiten einmal begonnen hat, folgen die nächsten Schritte fast unausweichlich, bis schließlich Geld und Genuß als die neuen Götzen ganz an die Stelle des heiligen Gottes getreten sind.

Dabei haftet dem hemmungslosen Streben nach Erwerb und Genuß geradezu etwas Gespenstisches an, wenn man auf den Hintergrund schaut, vor dem es sich vollzieht. Wir meinen die Bedrohung der Völker durch die sogenannte Atomkraft. Im August 1945 fielen die ersten Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki. Diese zwei Bomben kosteten einhundertdreißigtausend Menschen das Leben. Dazu kommen die Verwundeten. Zehn Jahre weiter, und schon hören wir von Bomben, die nicht nur Städte, sondern Provinzen vernichten können. „Die größten Autoritäten“, so sagte ein führender Atomforscher, „sind sich darüber einig, daß ein Krieg mit der Wasserstoffbombe durchaus zur Vernichtung der ganzen Menschheit führen könnte.“ Und noch weiß keiner, welche Erfindungen uns bevorstehen. Väter und Mütter wagen fast nicht die Frage zu stellen, welchen Geschicken ihre Kinder und Enkel entgegengehen. Die Völker und ihre Lenker sind ratlos geworden. Jeden ist gegen jeden mit Mißtrauen erfüllt, und jeder kann jeden vernichten. Wie gefährdet ist alles Leben auf dieser Erde geworden, wie wurde offenbar die Vergänglichkeit der irdischen Dinge! Wirkt es nicht grotesk, daß ausgerechnet in dieser Situation so viele Menschen sich krampfhaft an die brüchigen Dinge klammern und ihr Heil in möglichst viel Geld und Besitz und Genuß suchen?!

II.

Geliebte Diözesanen! So darf es mit uns nicht weitergehen. Lasset uns vor den Herrn treten und „sein Angesicht suchen“ (Ps. 104, 4) und wie die Hörer des Täufers fragen: „Was sollen wir tun?“ (Lk. 3, 10)

Wir Bischöfe aber rufen Euch mit eben diesem Johannes dem Täufer zu: „Tuet Buße!“ (Mt. 3, 1) Tuet Buße, das heißt nicht nur: tuet bestimmte Bußwerke!, sondern heißt noch mehr: ändert Eueren Sinn, ändert Euer ganzes Leben, denket um, bekehret Euch! – Erkennt wieder an, daß Gott Euer Herr ist! Daß Euere Kräfte, Euer Einkommen, Euer Gatte, Euere Gattin, Euere Kinder zunächst ihm gehören und daß Ihr darum mit all dem und all diesen umgehen müßt, nicht wie es Euerem Gutdünken, sondern wie es seinem heiligen Willen entspricht. Habet Furcht vor Gott, wie unser Heiland uns lehrt: „Fürchtet Euch nicht vor denen, die den Leib zwar töten können, darüber hinaus aber nichts vermögen. Ich will Euch zeigen, wen Ihr fürchten sollt: Fürchtet den, der über den Tod hinaus noch in die Hölle stürzen kann. Ja, ich sage Euch: Den sollt ihr fürchten!“ (Lk. 12, 4 f.; cf. par.)
 


Fortsetzung und ganzer Hirtenbrief hier