Dom Prosper Guéranger, dessen Seligsprechungsverfahren 2005 angenommen wurde |
Der Himmel der heiligen Kirche wird immer düsterer, die ernsten
Farben der vergangenen vier Wochen genügen dem Schmerz der Braut (Anmerk: die Braut
Christi, die katholische Kirche) nicht länger, sie weiß, dass die Menschen den
Bräutigam suchen, dass sie Ihm den Tod geschworen haben. Keine zwölf Tage
vergehen, so sieht sie Seine Feinde die gottesräuberischen Hände an Ihn legen.
Sie wird Ihm dann auf den Schmerzensberg folgen, Seinen letzten Seufzer hören
und endlich Zeuge sein, wie über Seinem entseelten Körper das Siegel auf den Grabstein
gedrückt wird.
Es kann daher nicht überraschen, wenn sie alle ihre Kinder
einlädt, während dieser zwei Wochen ihre Betrachtungen Ihm zu widmen, welcher
der Gegenstand ihrer ganzen Liebe und ihrer ganzen Traurigkeit ist.
Aber nicht fruchtlose Tränen und eitles Mitgefühl fordert unsere heilige
Mutter Kirche von uns; sie will, dass wir Nutzen aus den Lehren ziehen sollen,
welche uns die furchtbaren, vor unseren Augen sich abwickelnden Szenen geben.
Sie gedenkt, dass der Heiland, als Er auf den Kalvarienberg stieg,
jenen Frauen von Jerusalem, welche über Sein Los selbst im Angesichte der
Henker Tränen vergossen, sagte: „Weinet nicht über mich, sondern weinet über
euch und euere Kinder. (Luc. 23,28) Er wies den Tribut ihrer Tränen nicht
zurück; Er war gerührt von dieser Äußerung ihres Schmerzes; aber die Liebe, die Er zu ihnen hegte, gab Ihm diese Worte ein; Er wollte vor allem, dass sie die
Größe des Ereignisses erfassten, dass sich in dieser Stunde vollzog, wo die Gerechtigkeit
Gottes sich so unerbittlich gegen die Sünde offenbarte.
Die Kirche hat die Bekehrung des Sünders in den vorhergehenden Wochen
begonnen; jetzt will sie dieselbe vollenden. Nicht mehr der auf dem Berge in
der Wüste fastende und betende Christus erscheint unseren Blicken; es ist das allgemeine,
für das Heil der Welt geschlachtete Opferlamm (Anmerk., Agnus Dei, das Lamm
Gottes: Christus). Bald wird die Stunde schlagen; die Hölle bereitet sich vor,
die ihr gewährten Augenblicke zu benützen; das entsetzlichste Verbrechen wird
begangen. In wenigen Tagen wird der Sohn Gottes der Gewalt der Sünder überliefert
und sie werden Ihn töten.
Die Kirche braucht jetzt nicht mehr ihre Kinder zur Buße zu ermahnen, sie wissen jetzt, was es mit der Sünde auf sich hat, da sie eine solche Sühne forderte.
Die Kirche braucht jetzt nicht mehr ihre Kinder zur Buße zu ermahnen, sie wissen jetzt, was es mit der Sünde auf sich hat, da sie eine solche Sühne forderte.
(…)
Der allgemeine Charakter der Gebete und Riten dieser vierzehn Tage
ist ein tiefer Schmerz über den Anblick des von seinen Todfeinden unterdrückten
Gerechten und ein energischer Unwille gegen das gottesmörderische Volk.
Fortsetzung HIER
aus Das Kirchenjahr von Dom Prosper Guéranger, Abt von Solesmes, mit bischöflicher Approbation, Verlag Franz Kirchheim, 1890
Anmerkung: Zu Zeiten Dom Prosper Guérangers gab es nur die außergewöhnliche
Form des Messritus, die Forma extraordinaria, mit den entsprechenden auch heute
dort noch gültigen Texten für Epistel und
Evangelium des jeweiligen Tages der Fastenzeit, von deren Charakter und Wirkungen er spricht.