Das wichtigste Gebet ist das Gebet um die Beharrlichkeit bis zum Ende. Siehe hier


Sonntag, 25. März 2012

Dom Guéranger über die Passionszeit

Dom Prosper Guéranger,
dessen Seligsprechungsverfahren 2005 angenommen wurde

Der Himmel der heiligen Kirche wird immer düsterer, die ernsten Farben der vergangenen vier Wochen genügen dem Schmerz der Braut (Anmerk: die Braut Christi, die katholische Kirche) nicht länger, sie weiß, dass die Menschen den Bräutigam suchen, dass sie Ihm den Tod geschworen haben. Keine zwölf Tage vergehen, so sieht sie Seine Feinde die gottesräuberischen Hände an Ihn legen. Sie wird Ihm dann auf den Schmerzensberg folgen, Seinen letzten Seufzer hören und endlich Zeuge sein, wie über Seinem entseelten Körper das Siegel auf den Grabstein gedrückt wird.
Es kann daher nicht überraschen, wenn sie alle ihre Kinder einlädt, während dieser zwei Wochen ihre Betrachtungen Ihm zu widmen, welcher der Gegenstand ihrer ganzen Liebe und ihrer ganzen Traurigkeit ist.
Aber nicht fruchtlose Tränen und eitles Mitgefühl fordert unsere heilige Mutter Kirche von uns; sie will, dass wir Nutzen aus den Lehren ziehen sollen, welche uns die furchtbaren, vor unseren Augen sich abwickelnden Szenen geben.
Sie gedenkt, dass der Heiland, als Er auf den Kalvarienberg stieg, jenen Frauen von Jerusalem, welche über Sein Los selbst im Angesichte der Henker Tränen vergossen, sagte: „Weinet nicht über mich, sondern weinet über euch und euere Kinder. (Luc. 23,28) Er wies den Tribut ihrer Tränen nicht zurück; Er war gerührt von dieser Äußerung ihres Schmerzes; aber die Liebe, die Er zu ihnen hegte, gab Ihm diese Worte ein; Er wollte vor allem, dass sie die Größe des Ereignisses erfassten, dass sich in dieser Stunde vollzog, wo die Gerechtigkeit Gottes sich so unerbittlich gegen die Sünde offenbarte.
Die Kirche hat die Bekehrung des Sünders in den vorhergehenden Wochen begonnen; jetzt will sie dieselbe vollenden. Nicht mehr der auf dem Berge in der Wüste fastende und betende Christus erscheint unseren Blicken; es ist das allgemeine, für das Heil der Welt geschlachtete Opferlamm (Anmerk., Agnus Dei, das Lamm Gottes: Christus). Bald wird die Stunde schlagen; die Hölle bereitet sich vor, die ihr gewährten Augenblicke zu benützen; das entsetzlichste Verbrechen wird begangen. In wenigen Tagen wird der Sohn Gottes der Gewalt der Sünder überliefert und sie werden Ihn töten. 
Die Kirche braucht jetzt nicht mehr ihre Kinder zur Buße zu ermahnen, sie wissen jetzt, was es mit der Sünde auf sich hat, da sie eine solche Sühne forderte.
(…)
Der allgemeine Charakter der Gebete und Riten dieser vierzehn Tage ist ein tiefer Schmerz über den Anblick des von seinen Todfeinden unterdrückten Gerechten und ein energischer Unwille gegen das gottesmörderische Volk.

Fortsetzung HIER
aus Das Kirchenjahr von Dom Prosper Guéranger, Abt von Solesmes, mit bischöflicher Approbation, Verlag Franz Kirchheim, 1890

Anmerkung: Zu Zeiten Dom Prosper Guérangers gab es nur die außergewöhnliche Form des Messritus, die Forma extraordinaria, mit den entsprechenden auch heute dort noch gültigen Texten für  Epistel und Evangelium des jeweiligen Tages der Fastenzeit, von deren Charakter und Wirkungen er spricht.