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Dienstag, 9. Oktober 2012

Was ist das sittliche Naturgesetz?

Der Hei­lige Vater hat in der letz­ten Zeit mehr­fach auf die Bedeu­tung des sitt­li­chen Natur­ge­set­zes und des Natur­rech­tes hin­ge­wie­sen. Das sitt­li­che Natur­ge­setz und das Natur­recht ist ein unauf­geb­ba­rer Bestand­teil der kirch­li­chen Ver­kün­di­gung. 
Wir ken­nen die Gesetze der phy­si­schen Natur. Wir haben sie im Unter­richt in der Schule gelernt, in natur­wis­sen­schaft­li­chen Unter­richt. Der Schall pflanzt sich fort mit eine Geschwin­dig­keit von 333 Metern in der Sekunde. Gre­gor Men­del, der Augus­ti­ner­prior, hat die soge­nann­ten Men­del’schen Gesetze ent­deckt. Sie gehö­ren zu der Ver­er­bung. Georg Simon Ohm hat das Ohm’sche Gesetz ent­deckt, näm­lich: Strom­stärke = Span­nung durch Wider­stand. Das sind Natur­ge­setze, phy­si­sche Natur­ge­setze. 
Aber es gibt nicht nur phy­si­sche Natur­ge­setze, es gibt auch sitt­li­che Natur­ge­setze, die sich also an den Men­schen wen­den, an sei­nen Ver­stand und an sei­nen Wil­len.

Was ver­steht man unter sitt­li­chen Natur­ge­set­zen? Sitt­li­che Natur­ge­setze sind die Gesamt­heit der sitt­li­chen Nor­men, die der Mensch aus der Natur der Dinge kraft sei­ner natür­li­chen Ver­nunft als sitt­lich ver­bind­lich erken­nen kann. Natur ist hier in einem dop­pel­ten Sinne gebraucht, näm­lich ein­mal als Erkennt­nis­ge­gen­stand, als Quelle der Erkennt­nis, und als Erkennt­nis­mit­tel, näm­lich Ver­nunft. Um es noch etwas ein­fa­cher zu erklä­ren: Die Geschöpfe haben vom Schöp­fer eine bestimmte Struk­tur, eine bestimmte Wesens­art mit­be­kom­men. Diese Natur ist ver­bind­lich, denn der Schöp­fer hat sie hin­ein­ge­legt. Diese Struk­tu­ren muss der Mensch erken­nen und beach­ten. Das ist das sitt­li­che Natur­ge­setz.

Die Hei­lige Schrift bezeugt uns die Exis­tenz des sitt­li­chen Natur­ge­set­zes. Im Römer­brief schreibt der hei­lige Apos­tel Pau­lus: „Indem die Hei­den, die das jüdi­sche Gesetz nicht haben, von Natur das gesetz­lich Vor­ge­schrie­bene tun, sind diese, die das mosai­sche Gesetz nicht haben, sich selbst Gesetz. Sie zei­gen näm­lich, dass das Werk des Geset­zes in ihre Her­zen geschrie­ben ist, indem ihr Gewis­sen ihnen Zeug­nis gibt und ihre Gedan­ken sich unter­ein­an­der ankla­gen und ver­tei­di­gen.“ 

Auf diese grund­le­gende Aus­sage des Apos­tels Pau­lus hat sich die kirch­li­che Moral­wis­sen­schaft immer gestützt und infol­ge­des­sen 2000 Jahre lang die Exis­tenz des sitt­li­chen Natur­ge­set­zes gelehrt. Andere sind in die Fuß­stap­fen des Apos­tels Pau­lus getre­ten, z.B. der hei­lige Jus­tin der Mar­ty­rer, der uns ja wert­volle Schrif­ten hin­ter­las­sen hat. Er spricht von dem „all­ge­mei­nen, natür­li­chen und ewi­gen Gesetz“. In der Zeit der Ver­fol­gung haben sich die Chris­ten auf die­ses Gesetz beru­fen. Auf die Offen­ba­rung konn­ten sie sich nicht beru­fen, denn die Ver­fol­ger erkann­ten ja die Offen­ba­rung nicht an. Aber gemein­sam mit ihnen hat­ten sie das sitt­li­che Natur­ge­setz, und dar­auf haben sie sich gestützt bei ihrem Kampf für die Rechte der Chris­ten.

Kann man bewei­sen, dass es ein sitt­li­ches Natur­ge­setz gibt? Man kann es bei allen Men­schen guten Wil­lens. Im all­ge­mei­nen sitt­li­chen Bewußt­sein zeigt sich das Vor­han­den­sein eines Sol­lens. Wir alle spü­ren, dass wir bei bestimm­ten Vor­ha­ben, Hand­lun­gen, Aktio­nen vor der Frage ste­hen: Darf ich oder darf ich nicht? Es ist dem Men­schen zutiefst ein­ge­wur­zelt ein Sol­len, das der Ver­nunft auf­ge­ge­ben ist, ein Gespür für das, was der Mensch tun darf oder soll oder nicht tun darf oder nicht tun soll. In die­sem Gespür deu­tet sich das sitt­li­che Natur­ge­setz an. Das Nach­den­ken erhär­tet diese Erschei­nung, die wir ja alle in uns spü­ren. Es ver­tieft diese volks­tüm­li­che Über­zeu­gung. 
Mit der Ver­nunft erkennt der Mensch, dass es eine innere Not­wen­dig­keit gibt, bestimmte Dinge zu tun oder zu unter­las­sen. Dass der Mensch mehr ist als ein Tier, weil er Ver­nunft und Wil­len besitzt, ist jedem, der den­ken kann, offen­sicht­lich. Wenn er aber mehr ist als ein Tier, kann er nicht behan­delt wer­den wie ein Tier. Man muss ihn viel­mehr ach­ten und schät­zen in sei­ner Per­sön­lich­keit. Wenn der Mensch mehr ist als ein Tier, kann er auch nicht leben wie ein Tier. Er muss ein­ge­denk sein der geis­ti­gen Gaben, die ihm zuteil gewor­den sind, sei­ner Ver­ant­wor­tung, die er trägt für sich und für andere.

Alle Men­schen, so ver­schie­den sie sein mögen, haben das Recht, aner­kannt zu wer­den in ihrer Exis­tenz und in ihrem Lebens­recht. Das sitt­li­che Natur­ge­setz erhebt Ein­spruch gegen die Ein­tei­lung der Men­schen in höher­wer­tige und min­der­wer­tige Ras­sen, von denen die einen zum Herr­schen, die ande­ren zum Beherrscht­wer­den beru­fen seien. Das ist das sitt­li­che Natur­ge­setz. Jedes Volk, das exis­tiert, hat ein Recht zu leben, sich zu ent­fal­ten, sich zu ver­meh­ren. Das sitt­li­che Natur­ge­setz ver­bie­tet, dass ein star­kes Volk ein schwa­ches unter­jocht oder gar aus­rot­tet. Das ist die Spra­che des sitt­li­chen Natur­ge­set­zes.

Der Pro­tes­tan­tis­mus leug­net das sitt­li­che Natur­ge­setz. Er muss es leug­nen, weil er eine fal­sche Vor­stel­lung von der Erb­sünde hat. Nach ihm ist durch die Erb­sünde der Mensch total – total! – ver­dor­ben. Natür­lich, wenn der Mensch, wenn die mensch­li­che Natur total ver­dor­ben ist, kann man dar­aus keine Impe­ra­tive ent­neh­men. Wegen die­ser Ver­derb­nis ist also ein Natur­recht im Pro­tes­tan­tis­mus nicht mög­lich.


alles aus der Predigt: Die Ver­bind­lich­keit des sitt­li­chen Natur­ge­set­zes von Prälat Georg May