Hier auf Erden ist der Ort und die Zeit der Verdienste und folglich auch der Ort und die Zeit des Leidens.
Unsere Heimat, wo Gott uns die ewige Ruhe in einer unaussprechlichen Seligkeit bereitet hat, ist der Himmel. Die Zeit, die wir auf dieser Welt zubringen, ist zwar kurz, aber die Mühseligkeiten und die Trübsale, die wir in dieser Zeit erdulden, sind groß: „Der Mensch vom Weibe geboren, lebt eine kurze Zeit und wird mit vielem Elende erfüllt“ (Jo 14,1).
Man muss leiden, so lautet das allgemeine Gesetz, und alle haben zu leiden, die Gerechten wie die Sünder, jeder hat sein Kreuz zu tragen. Wer es in Geduld trägt, wird gerettet, wer es in Ungeduld trägt, geht verloren. „Dieselben Leiden und Prüfungen“, sagt der heilige Augustinus, „führen die einen in den Himmel und die anderen in die Hölle.“
Durch die Probe des Leidens, sagt derselbe Heilige, scheidet sich in der Kirche Gottes das Stroh vom Weizen: wer sich in Trübsalen demütigt und in den Willen Gottes ergibt, ist ein Weizenkorn für die Scheune des himmlischen Hausvaters, und wer sich hochmütig auflehnt, in Zorn gerät, und deshalb von Gott sich abwendet, ist Stroh für die Flammen der Hölle.
aus: Leiden für Gott – Leben und Sterben der heiligen Theresia von Lisieux
von Prälat Prof. Georg May
Hl. Therese von Lisieux am Tag ihrer Profess |
Und in dieser Liebesflamme hat sie ihre Leiden getragen. Leiden und lieben, das war für sie eines. Liebe war für sie kein Gefühl, sondern war Gehorsam gegen Gott. Liebe war für sie Opfer, Darbringung seiner selbst an den Willen Gottes. Das war für sie Liebe. Und in dieser Liebe hat sie den Gipfel erklommen. Lieben, geliebt werden und wiederkommen, um zu bewirken, daß die Liebe geliebt werde, das sah sie als ihre Sendung an. Ja, sie schrieb den ergreifenden Satz: „Mein Beruf ist die Liebe,“ die grenzenlose Gottesliebe, die sich im Ganzopfer vollendet.
Und dieses Ganzopfer hat Therese gebracht. Ich sagte schon, sie ist im Alter von 24 Jahren gestorben, aber wie gestorben? An einer Miliartuberkulose. Das ist eine Krankheit, wo sich die Tuberkulosekeime in der Blutbahn verbreiten und überall festsetzen. Am ganzen Körper entstehen Knötchen, Tuberkuloseknötchen, die aufplatzen und große Schmerzen verursachen. Mit glühendheißen Wangen, mit eiskalten Füßen, schweißgebadet und kaum noch des Atmens fähig lag sie in ihrer Sterbezelle.
Auch in dieser furchtbaren Lage hat sie das Lächeln nicht verlassen. Noch an ihrem Sterbetage lächelte sie den Schwestern entgegen, die ihre Zelle betraten. „Mein Kelch ist gefüllt bis zum Rande. Ich hätte nie geglaubt, daß man so viel leiden kann“, sagte sie in dieser Todeskrankheit. Es war ein langes, ein qualvolles Sterben. Zwei Monate lang mußte sie sich erbrechen, mußte sie alles von sich geben, was sie zu sich nahm, konnte nicht einmal die heilige Kommunion empfangen.
Dazu kam die Finsternis der Seele. Ihre Glaubensgrundlage begann zu wanken, eine furchtbare Angst überfiel sie. „Ich spüre den Teufel um mich herum“, so gestand sie. Also nicht einmal das hat Gott ihr geschenkt, daß er ihr ein klagloses, ein ruhiges, im Glauben gefestigtes Sterben gab. Die Schwestern fragten sie gelegentlich in diesen Wochen des lange hingezogenen Sterbens: „Was sagen Sie jetzt Gott?“ „O, ich sage garnichts“, antwortete sie, „ich liebe ihn. Wohlan, wohlan, ich möchte nicht weniger leiden.“ So sagte sie in diesen Qualen und Schmerzen.
Und so, meine lieben Freunde, ist Therese von dieser Welt gegangen. Ihre letzten Worte waren: „O, ich liebe ihn. Mein Gott, ich liebe dich.“