Du kannst diesen Spiegel, wenn
du willst, auch immer bei dir auf der Brust tragen, wie der junge Herzog, und
wenn du von anderen nicht gerade bemerkt wirst, ihn herausziehen und dich in
demselben beschauen. Das ist noch besser, als wenn du es nur zu Abend tust.
Hast du so die Tageszeiten
gemustert und deine Fehler entdeckt, so schaffe sie allsogleich aus der Seele,
noch vor dem Schlafengehen, durch eine herzliche Reue, und schau‘ daher ein
zweites Mal auf das Bild des göttlichen Herzens. (…) Dann bitte den lieben
Heiland, er möge dir zuerst gütlich verzeihen, dass du dein Herz, sein
Eigentum, wieder so entstellt hast; und dann möge er selbst mit
erbarmungsreicher Huld darin alle Unordnung wieder zurecht legen. Der Herr wird
es mit aller Bereitwilligkeit tun. Denn sieh! „Gott ist ein also
unerschöpflicher Brunnen grundloser Barmherzigkeit und natürlicher Gutheit,
dass nie eine getreue Mutter ihrem eigenen Kinde, das sie an ihrem Herzen trug,
ihre Hand so gern reicht, wenn sie es im Feuer sähe, als Gott tut einem reuigen
Menschen, und wäre es auch möglich, dass er aller Menschen Sünden alle Tage
tausendmal getan hätte,“ so sag der liebe alte Heinrich Suso (Seuse).
Endlich beschließ deine Andacht
am Abende mit einem neuen kräftigen Vorsatz für den morgigen Tag. Lass es aber
nicht bei leeren Worten bewenden, dass du nur sagst: „Ich nehme mir vor:“
sondern lass dir den Vorsatz vom Herzen herauswachsen; sonst hilft er dir
nichts. Und darum rate ich dir noch einmal! Schau wieder auf das Bild des
göttlichen Herzens, und lies dort in den Flammen, wie es dich so innig, so bis
zum Sterben treu und großmütig geliebt hat. Dann nimm deine Seele gleichsam in
deine Hand und frage sie ernst: ob sie es über sich bringen könnte, nochmal so
schwarzen Undank zu tun, und morgen das liebreiche Herz ihres Vaters und
Erlösers wieder zu beleidigen? Ob sie noch ferner die Guttaten dieses Herzens
mit Untaten und Bosheiten lohnen wolle? Und ob sie sich nicht schämen müsste
vor sich selber, wenn sie auch morgen wieder ihrem besten Freunde untreu werden
wollte? So und dergleichen rede ihr recht eindringlich zu, bis sie Antwort
gibt, wie sie einmal ein braves Kind gegeben.
(Aus: der Garten des Herzens
Jesu oder: der Christ in seinem Erlöser nachgebildet, P. Franz Hattler S.J.,
Regensburg, Verlagsanstalt vorm G. J. Manz, 1922, S. 121-122)