Das wichtigste Gebet ist das Gebet um die Beharrlichkeit bis zum Ende. Siehe hier


Mittwoch, 26. Oktober 2011

Sind alle Religionen gleich gut?

P. T. Campeau OMI, Missionär im hohen Norden Amerika's, erzählt in einem seiner Briefe folgendes:
Drei protestantische Prediger kamen letztes Jahr (1890) auf Besuch zu Orupe, einem katholischen Häuptling. 
Einer der Herren hielt nun in Gegenwart zahlreicher Indianer, getaufter sowohl als heidnischer, etwa folgende Ansprache: „Scheuet euch nicht, meine guten Freunde, gemeinsam mit uns zu beten. Auch wir lieben Gott und trachten in den Himmel zu kommen. Vor Gott sind alle Religionen gleich gut. Eure, die katholische Religion, gleicht einem großen Baume; die Religionen, die wir predigen, sind die Äste. Baum und Äste sind aber von derselben Art, nicht wahr? So ist’s auch mit unserer und eurer Religion. Sie haben ja das gemeinsam miteinander, daß sie beide zum Himmel führen.“
In diesem Sinne sprach der Prediger noch fast eine halbe Stunde fort. 
Gefragt, was er von dieser Darlegung halte, erwiderte Orupe: „Ich bin sehr verwundert, dich über die Religion also sprechen zu hören. Ihr weißen Männer könnt Leute genug finden, die euch in der Wahrheit unterrichten, während wir Indianer nur arme, unwissende Leute sind. 
Dessen ungeachtet haben wir immer dafür gehalten, daß es nur eine gute Religion geben müsse, wie es nur einen Gott gibt. Der Glaube an einen Gott führt notwendig zum Glauben an ein Evangelium, eine Lehre. Denn es ist schwer anzunehmen, daß Gott selbst so verschiedenartige Religionen geoffenbart haben soll. 
Wenn selbst ein armer Wilder sich schämt, heute das Gegentheil von dem zu sagen, was er gestern behauptet hatte, um wieviel weniger ist es denkbar, daß Gott jetzt etwas zurücknehme oder widerrufe von dem, was er einstens, da er auf Erden wallte, gelehrt hat. 
Nun wie kommt es denn, daß ihr nicht auch dieselben Lehren vortraget, wie unsere Priester sie verkünden? Freilich weiß ich, dass Baum und Äste von derselben Gattung sind; aber sahet ihr wohl schon einmal einen Eichbaum, der Äpfel, oder einen Apfelbaum, der Eicheln trug? 
Wenn du also zugibst, daß unsere Religion der Baum ist, die eurigen die Äste, dann müßt ihr auch dasselbe glauben und lehren, was unsere Priester glauben und lehren. Überhaupt“, so schloß Orupe seine Rede, „ist das beste, was ihr thun könnt, uns künftig in Ruhe zu lassen und uns nicht weiter mit euren Versuchen zu belästigen, eine Religion uns aufzudringen, die ihr selbst erfunden habt.“


(Aus: Die katholischen Missionen,  Illustrierte Monatsschrift, 20. Jahrgang, Nr. 7, Juli 1892  Herder’sche Verlagsbuchandlung, Freiburg i. Br., S.  156)